Franz Joseph van der Grinten:

Alles ist zugleich weniger und mehr; das bewirken die Überlagerungen und Schichten, die schon Dagewesenes zu tilgen scheinen und es doch, wenn schon nicht mehr erkennbar, gegenwärtig erhalten. Weder Routine noch Bravour sind dabei im Spiel, sondern, obwohl Schritt für Schritt aus nachdenklichem Sichvertiefen vollzogen wird, scheint jeder der Schritte der erste, den man, des Schreitenkönnens noch nicht versichert, tut. Löscht man, was nicht gelang, löscht man, was überschüssig gewesen wäre, löscht man, was schon so sehr ins Werdende eingegangen ist, dass es der Sichtbarkeit nicht mehr bedarf? Aber es ist ja hier das Löschen stets ein Hinzufügen. Indem sich das Abbild entzieht, gewinnt seine Materie an Fülle, Dichte, Gewicht. Die Vielschichtigkeit ist freilich auch eine spirituelle. Die Bilder von Tobias Magaß sind wie Palimpseste. Nicht nur, weil sie der Schrift einen wesentlichen Rang einräumen, dem Geschriebenen und seiner Aussage, einer auf wenige Worte, manchmal auf ein einziges verknappten, die oft genug in Verwischung und Trennung und in der Aufhebung des Kontrasts zum Grund ins nicht eindeutig sich Verrätselnde sich entziehen mag. Auch was abbildhaft erscheinen könnte, ist derart konterkariert, aber es selbst ist nicht Bild sondern Zeichen, nicht Konterfei, sondern Emblem, figurale Vertretung eines Gedankens, der an sich abstrakt bliebe, aber in dieser Gestalt sinnlich erfahrbar wird. Der Künstler sieht sich im Erbe der Emblematik, in der abendländische Weltweisheit ein humanistisch-aufklärerisches Besteck sich schuf. Das Erkennbare als Vermittler von Erkenntnis. Bei Tobias Magaß wird es in Bedeckung kryptisch, es setzt, will man es verstehen, seine Kenntnis voraus. Aber nichts ist hier lehrhaft, vielmehr bleibt Alles trächtig, es trägt, was ist und sein kann, in sich. Auf dieser Ebene freilich sind Bild und Wort einander gleich. Buchstaben waren Bilder, ehe sie Zeichen wurden, und jedes Wort, ob wir es lesen, hören, aussprechen oder nur denken, ruft das Bild dessen in uns auf, was es bezeichnet, so wie das, was wir real sehen, uns im Klang des Wortes, das ihm zugeordnet ist, bewußt wird, auch ohne dass wir dieses wirklich hören. Das stumme Schreiben ein Wecken dieses inneren Klangs, der Klang ein Gewicht, das der auf sich nimmt, der ihn in sich entstehen läßt. Wo das in beiläufiger Gewohnheit geschieht, mag es nicht spürbar werden; wer aber, wie hier, von diesen Bildern sich angehalten sieht, sich in das Wahrgenommene zu vertiefen, entgeht nicht dem Ernst, den es birgt und der sich ihm entbirgt, indem der Blick durchzudringen trachtet. Das Malen ein Schreiben, und das Geschriebene weist sich als Malerei aus. Der Duktus von Pinsel und Stift ist vom Handschriftlichen bestimmt. Die Wahl der Mittel und Materien scheint spontan, das eine grenzt sich nicht gegen das andere ab. Trockene und flüssige Arbeitsspuren mischen sich, auch das Gezeichnete trägt sich einem Malgrund auf, und Übermalung und Verwischung sind nicht nur verschiedene, sondern auch gemeinsame Wege der Verschlüsselung, und selbst was manchmal deckend eingeklebt wird, schafft ein differenzierteres Ganzes. Obwohl in den Bildern das Weiß überwiegt und sich die Spuren eher sparsam darin eintragen, ist das Dunkel in ihnen allgegenwärtig. Und sind die Bilder zwar als ganze klar begrenzt, so findet sich in ihrem Flächenraum das, was sich artikuliert, unbefestigt in der Schwebe, gehalten nur durch die inneren Gesetze der Harmonie. Und keine Summe ist gezogen; was wenig scheint, es mag sich mehren. Es ist die Tiefe, die verborgene, die es ausmacht. Sind da Fragen, so ohne Antwort, sind da Antworten, so scheint es, dass sie Fragen bleiben. Erkenntnis ist der Lohn des Suchens, eines Suchens, das sich auflöst, indem man, was man erkennen mag, wiedererkennt. Man ist allerwege auf dem Weg zu sich selbst - jeder Künstler in jedem seiner Werke, jeder aber auch, der sich auf eines davon schauend und sinnend einläßt.

Franz Joseph van der Grinten
Museumsdirektor Schloss Moyland


Franz Joseph van der Grinten,

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